Folgende Rezension hat Feldenkraislehrer Conrad Heckman über die erste Auflage meines Buches in der Zeitschrift Feldenkraisforum, Deutschland geschrieben. Die zweite Auflage heisst jetzt Die Feldenkrais-Methode nach Elisabet Bloom.

Ist der Bann jetzt gebrochen? Endlich ein weiteres Lehrbuch über Funktionale Integration!

Kann man ein Lehrbuch über Funktionale Integration schreiben? Dass der erste Versuch in diese Richtung fast dreißig Jahre lang der letzte blieb, konnte man schon als bedrückend empfinden. Adelte es die Kunst, dass weitere Versuche gescheut wurden? War mit dem ersten Buch schon alles gesagt? Oder lag es vielleicht am Unvermögen der Nachkommen, dass nichts folgte? Fürs erste erübrigt sich weiteres Grübeln, denn jetzt hat die schwedische Feldenkrais-Lehrerin und Physiotherapeutin Elisabet Bloom dem Vorbild ihres Ausbilders Yochanan Rywerant ein eigenes Werk mit dem Titel „Methodik und Praxis der Feldenkrais-Arbeit“ folgen lassen, das man mit Fug als Lehrbuch der Funktionalen Integration bezeichnen kann. 
Schon von außen zeigt das Buch mit seiner Ringbindung, dass es oft in die Hand genommen werden will. Im Laufe der Jahre könnten die Gebrauchsspuren davon zeugen, dass dies vor allem wegen seines zweiten Teils geschieht. In diesem eigentlichen Praxisteil lässt uns die Autorin auf gut einhundert Seiten in 17 reich bebilderten Beispiel-Lektionen an ihrer offensichtlich großen Erfahrung in Funktionaler Integration teilhaben. In Stil und Aufmachung erfüllt das Buch hier seinen Anspruch, ein Lehrbuch zu sein, auf mustergültige Weise. Die Klienten werden uns eingangs vorgestellt, als kämen sie in unsere Praxis: „Linda kommt zu Dir und beklagt sich über Steife…“. Dann folgt Schritt für Schritt eine detaillierte Beschreibung des Vorgehens. Text und Bildmaterial sind durch Verweise benutzerfreundlich und dabei so dicht miteinander verknüpft, dass nahezu jeder Schritt sowohl fotografisch als auch verbal dokumentiert ist. Kamerablickwinkel und Bildausschnitt der insgesamt 228 Fotos sind mit ganz wenigen Ausnahmen didaktisch sehr gut gewählt. Hier und da sind auch Zeichnungen zur Veranschaulichung anatomischer Gegebenheiten eingestreut. Dem Praxisteil hat die Autorin eine Einführung von ebenfalls etwa einhundert Seiten in die Grundgedanken der Feldenkrais-Methode und deren spezifische Sicht auf den menschlichen Organismus vorangestellt. Diese Ausführungen zu Fachgebieten wie Neuromotorik, Kybernetik, Lernen und zur allgemeinen Vorgehensweise in der Funktionalen Integration sind – wie im Übrigen auch das ganze Buch – von einer entschieden naturwissenschaftlichen Sichtweise geprägt. Diese Themen darf ein Lehrbuch der Funktionalen Integration wohl nicht übergehen, auch wenn sie anderswo in ähnlicher Form bereits abgehandelt wurden. Das Einzigartige und der große Nutzen dieses Werks für Feldenkrais-LehrerInnen liegen aber eindeutig in seinem Praxisteil.

Wie kann oder sollte Funktionale Integration vermittelt werden?

Ist ein Buch schon deshalb ein Lehrbuch, weil es sich als solches präsentiert? Mal angenommen, dass Funktionale Integration überhaupt gelehrt werden kann: kann sie das auch durch ein Buch? Wie kann oder sollte Funktionale Integration vermittelt werden? In dieser Frage steckt viel Zündstoff, wie sich wohl schon bald nach dem Tod von Moshé Feldenkrais herausstellte. Sie dürfte mit dazu beigetragen haben, dass sich die folgenden Ausbildungen in ihrem Aufbau schon bald teils stark unterschieden. Im zweiten Stockholmer Training von Yochanan Rywerant (und vielleicht auch im ersten, dem Elisabet Bloom angehörte) waren von Beginn an vier von fünf Stunden jedes Ausbildungstags der Funktionalen Integration gewidmet. Dass die Studenten im Wie ihres Tuns noch wenig geschult waren, sollte sie nicht daran hindern, sich vom ersten Tag an in der Kunst zu versuchen. Was sie versuchen sollten, bekamen sie von Yochanan klar und logisch in physikalischen, neurologischen und kybernetischen Begriffen erklärt. 
Die enorme Bedeutung des Wie gegenüber dem Was einer Handlung hat Yochanan genauso verstanden und in seinen Ausbildungen ebenso vermittelt wie andere TrainerInnen wohl in ihren. Gleichzeitig erkannte er, dass eine Ausbildung im Wie der Funktionalen Integration ohne ein gründliches Verständnis des Was zu vermitteln ungefähr so effektiv ist wie – um es in eigenen Worten zu sagen – eine Muskulatur ohne Skelett. Was im jeweiligen Augenblick einer FI untersucht oder nonverbal gefragt oder mitgeteilt werden kann oder soll: die Auseinandersetzung mit dieser Frage zog sich durch seine Lehrtätigkeit und zieht sich durch sein Buch „Die Feldenkrais-Methode – Lehren durch die Hände“ wie ein roter Faden.
Mit seiner am Was orientierten Didaktik trägt das Buch von Elisabet Bloom dazu bei, dass das Vermächtnis von Yochanan bewahrt und seine Arbeit fortgeführt wird: Ein Beispiel aus Lektion 4: „Du weißt aber, dass Extensions- und Flexionsmuster schwer zu beeinflussen sind. Es ist daher einfacher, wenn Du mit Manipulonen für die Seitneigung oder Rotation beginnst. Die dazu notwendigen Muskeln gehören auch zu den Extensions- und Flexionsmustern“. Verfahre folgendermaßen…“ Jeden Schritt leitet die Autorin aus ihrem fortlaufenden Gedankengang her. 
Im weiteren Verlauf der Lektion (Seitlage): „Platziere Deine leicht geballte Faust gegen den rechten, dorsalen Trochanter Major und die mediale Seite deiner linken Hand (Affenarm) gegen den Beckenkamm der Taille. Gib einen leichten Druck gegen den Trochanter in Richtung der Taille (ventral oder dorsal). Warte auf Akzeptanz.“ Wer kennt nicht das Gefühl von Hilflosigkeit – besonders vielleicht aus der eigenen Anfangszeit – das einen überkommt, wenn man zu Beginn oder während einer FI-Lektion nicht weiß, was man tun soll? Hier können einfache, schrittweise Anleitungen im Stil eines Kochrezepts, wie sie die Autorin anbietet, eine große Hilfe sein: Sie schenken Sicherheit und Orientierung und nehmen einem Entscheidungen ab, denen man sich vielleicht noch nicht gewachsen fühlt. 
Aber auch wer schon darin erfahren ist, viele kleine visuelle und kinästhetische Hinweise aufzunehmen, zu verarbeiten und sich hiervon im eigenen Tun intuitiv leiten zu lassen, braucht sich bei der Lektüre nicht zu langweilen. Dank der detaillierten Beschreibung findet sie oder er beim Durchspielen der Lektionen vor dem inneren Auge permanent Anlass, innezuhalten und sich zu fragen, was an der jeweiligen Stelle sonst hätte passieren können, das Gelesene eigenen Erfahrungen gegenüber zu stellen, oder z. B. das eigene anatomische Wissen zu überprüfen. Ähnlich einer guten ATM bietet das Buch allen, ob in Funktionaler Integration schon erfahren oder nicht, eine spannende Lektüre, die jeder auf seine Art wird nutzen können.

Was hätte man besser machen können?

Was man hätte besser machen können? Als ein wesentlicher Kritikpunkt ist der manchmal wenig sensible Sprachgebrauch zu nennen. So begegnet man auf fast jeder Seite dem Kürzel BVH, welches sich, noch ehe man es versteht, aus dem Zusammenhang als ein Übel zu erkennen gibt, von dem die Klienten befreit werden müssen. Ganz vorne im Buch die Auflösung: Bewegungsvergessenheit! Das ist eine vielleicht gar nicht so schlechte Übersetzung des Begriffs „sensory motor amnesia“ von Thomas Hanna. Es stellt sich aber die Frage, wie weit sich die Ziele der Feldenkrais-Methode mit diesem einen Konzept Hannas erklären lassen. Abgesehen davon, dass es nicht nur um das Wiedererwecken von Vergessenem, sondern auch um das Entdecken von gänzlich Neuem geht, kann einem auch missfallen, dass mit ihm das Denken in Defiziten durch die Hintertür Einzug hält. 
Auch in anderer Hinsicht bremst der Sprachgebrauch gelegentlich die Freude am Lesen. So sind Formulierungen wie „Zeige dann Kerstins Soma das ursprüngliche Bewegungsmuster…“ mit dem Bekenntnis der Autorin zur Einheit von Körper, Seele und Geist nicht gut vereinbar. Manchmal werden wir als Leser aufgefordert, dem Klienten die Ursache seiner Beschwerden zu erklären: „Da sie sich ihres Zustands nicht bewusst ist, empfiehlt es sich, ihr diesen detailliert zu erklären.“ Ebenso verletzend wie das Psychologisieren körperlicher Beschwerden kann es aber sein, wenn umgekehrt körperliche Beschwerden ohne Umschweife auf neuromuskulärer Ebene erklärt und damit ihrer möglichen geistig-seelischen Bedeutung beraubt werden. 
Hier kommt es freilich auf das Selbstverständnis der einzelnen Feldenkrais-Lehrerin und des einzelnen Feldenkrais-Lehrers ebenso wie auf die Erwartungen der Klienten an. Vielleicht auch aufgrund ihres beruflichen Hintergrunds als Physiotherapeutin stellt Elisabet Bloom Funktionale Integration in erster Linie als Methode zur Überwindung körperlicher Beschwerden vor. Für Feldenkrais-KollegInnen und -StudentInnen, für die das Buch ja in erster Linie geschrieben ist, gehört es ohnehin zur täglichen Übung, in der Kommunikation über die Feldenkrais-Methode zwischen verschiedenen Sicht- und Denkweisen hin und her zu springen. Daher sollten sie praktischen Nutzen aus dem Buch ziehen können, ob sie seine physiotherapeutisch geprägte Sichtweise nun teilen oder nicht.

Für wen ist das Buch gedacht?

Für fachfremde Interessierte aus anderen Gebieten wie z. B. der Psychologie oder dem künstlerischen Bereich ist das Buch dagegen offensichtlich nicht gedacht. Aber auch mit skepsisbewehrtenSkepsis bewehrten Naturwissenschaftlern und Medizinern ohne Feldenkrais-Erfahrung, so sie es in die Hand bekommen, wird es das Buch nicht leicht haben. Für sie müssten vor allem die theoretischen Abschnitte differenzierter formuliert und von Ungenauigkeiten bereinigt werden. Etwas mehr sprachliche Präzision schließlich hätte stellenweise auch dem praktischen Teil gut getan, etwa, wenn beim Begriff „Rotatoren“ auch aus dem Zusammenhang nicht klar wird, ob Innen- oder Außenrotatoren gemeint sind. 
Insgesamt lassen die Reichhaltigkeit und der große praktische Nutzen, den das Buch Feldenkrais-Lehrenden und -Studierenden bietet, die genannten Schwächen aber eher unerheblich erscheinen. Nebenbei gebührt Elisabet Bloom Dank und Respekt für diesen neuerlichen Beweis dafür, dass die Funktionale Integration nicht nur über Aus- und Fortbildungen vermittelt, sondern für künftige Generationen auch schriftlich dokumentiert und bewahrt werden kann. Das Buch lässt hoffen, dass sich nun andere ermutigt fühlen, das Feld mit Büchern ähnlicher oder auch ganz anderer Machart und Ausrichtung zu beackern. So umfangreich es ist, lässt es anderen noch reichlich Platz, um die unendlich vielen Facetten unserer Arbeit zu beleuchten. Und der wird auch nicht ausgehen. Denn ein allumfassendes Lehrbuch über Funktionale Integration kann es sicher nicht geben. Das adelt in der Tat die Feldenkrais-Methode.

Elisabet Bloom: Methodik & Praxis der Feldenkrais-Arbeit. Von Loeper Literaturverlag. Karlsruhe, 2012, 216 S., 29,90 €. ISBN: 978-3-86059-625-8

 

Über den Autor 
Conrad Heckmann (geb. 1962), Diplombiologe und Heilpraktiker, schloss seine Feldenkrais-Grundausbildung mit Yochanan Rywerant 1991 in Stockholm ab. Er lebt und arbeitet in Tübingen und praktiziert dort die Feldenkrais-Methode in Gruppen- und Einzelarbeit im „Zentrum Impuls“, einem von ihm in Gemeinschaft mit einer Heilpraktikerkollegin geführten Zentrum für Therapie und Selbsterfahrung.
Mehr hier: www.heckmann-feldenkrais.de und hier www.zentrum-impuls.de.